Free Charlie!

Kam­pa­gne zur Abschaf­fung des Gottes­lästerungs­paragrafen 166 StGB

Nach deut­schem Recht hät­ten die über­le­ben­den Mit­glie­der der Redak­ti­on des Sati­re­ma­ga­zins »Char­lie Heb­do« ver­ur­teilt wer­den müs­sen, da ihre Zeich­nun­gen Fun­da­men­ta­lis­ten dazu ani­mier­ten, Ter­ror­ak­te zu bege­hen. Laut § 166 StGB wird näm­lich mit Geld­stra­fe oder Frei­heits­stra­fe bis zu drei Jah­ren bestraft, »wer den Inhalt des reli­giö­sen oder welt­an­schau­li­chen Bekennt­nis­ses ande­rer in einer Wei­se beschimpft, die geeig­net ist, den öffent­li­chen Frie­den zu stö­ren«.

Eine skan­da­lö­se Umkeh­rung des Täter-Opfer-Prin­zips! Denn selbst­ver­ständ­lich wird der öffent­li­che Frie­de nicht durch Künst­le­rin­nen und Künst­ler gestört, die auf dem Boden des Grund­ge­set­zes Reli­gio­nen sati­risch aufs Korn neh­men, son­dern durch reli­giö­se Fana­ti­ker, die es nicht gelernt haben, auf Kri­tik in ange­mes­se­ner Wei­se zu reagie­ren. Daher soll­te § 166 StGB zum 10. Jah­res­tag des Anschlags auf Char­lie Heb­do am 7. Janu­ar 2025 Geschich­te sein! Hel­fen Sie mit, den »Gottes­lästerungs­paragrafen« aus dem deut­schen Straf­ge­setz­buch zu strei­chen!

Fünf Grün­de für die Abschaf­fung von § 166 StGB

  1. In einer offe­nen Gesell­schaft darf jeder Mensch in jeder erdenk­li­chen Form über Reli­gio­nen wie nicht­re­li­giö­se Welt­an­schau­un­gen spot­ten. Aus­ge­nom­men davon sind Hand­lun­gen, die über ande­re Straf­tat­be­stän­de des StGB erfasst sind, etwa § 130 (»Volks­ver­het­zung«). »Reli­giö­se Gefüh­le« bedür­fen dar­über hin­aus kei­nes beson­de­ren Schut­zes.

  2. Der Gesetz­ge­ber muss klar­stel­len, dass die Frei­hei­ten der Kunst, der Mei­nungs­äu­ße­rung und der Mei­nungs­bil­dung sehr viel wich­ti­ger sind als die bis ins Unend­li­che ska­lier­ba­re Ver­letz­bar­keit »reli­giö­ser Gefüh­le« (selbst der Anblick eines pro­fa­nen »Spar­schweins« kann, wie die Erfah­rung zeigt, schon den Hass isla­mi­scher Fun­da­men­ta­lis­ten ent­fa­chen). In einer offe­nen Gesell­schaft soll­te jedes Mit­glied die Tole­ranz auf­brin­gen, welt­an­schau­lich-reli­giö­se Belei­di­gun­gen ertra­gen zu kön­nen. Wer die­se Fähig­keit nicht ent­wi­ckelt hat, soll­te für die­ses Defi­zit nicht noch belohnt wer­den.

  3. Der von § 166 StGB bezweck­te Schutz des öffent­li­chen Frie­dens führt de fac­to zu einer Gefähr­dung des öffent­li­chen Frie­dens, da der »Got­tes­läs­te­rungs­pa­ra­graf« Fun­da­men­ta­lis­ten zusätz­lich moti­viert, ihrer »Ver­let­zung« auf aggres­si­ve Wei­se Aus­druck zu ver­lei­hen. § 166 StGB för­dert also genau das, was er zu bekämp­fen vor­gibt.

  4. 166 StGB unter­höhlt die »Streit­kul­tur der Auf­klä­rung«, in der die Sati­re seit jeher eine ent­schei­den­de Funk­ti­on erfüllt, da sie das Aus­ein­an­der­klaf­fen von Anspruch und Wirk­lich­keit bei jenen »Groß­kop­fer­ten« ent­larvt, die sich selbst als »beson­de­re Auto­ri­tä­ten« ver­stan­den wis­sen wol­len. Poin­tiert for­mu­liert: Hät­te die his­to­ri­sche Auf­klä­rungs­be­we­gung nicht per­ma­nent »reli­giö­se Gefüh­le« ver­letzt, wür­den in Euro­pa noch immer die Schei­ter­hau­fen glü­hen.

  5. Die Abschaf­fung des § 166 StGB hät­te eine glo­ba­le Vor­bild­funk­ti­on. Schließ­lich kri­ti­siert die deut­sche Regie­rung schon seit vie­len Jah­ren die »Blas­phe­mie­ge­set­ze« in isla­mi­schen Län­dern (etwa dem Iran), mit denen die Kräf­te der Zivil­ge­sell­schaft eli­mi­niert wer­den. Die­se Kri­tik hät­te deut­lich mehr Gewicht, wenn Deutsch­land auf die­sem Gebiet mit gutem Bei­spiel vor­an­ge­hen wür­de.
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Fra­gen und Ant­wor­ten zu § 166 StGB

Hat der § 166 Straf­ge­setz­buch in der prak­ti­schen Anwen­dung hier­zu­lan­de über­haupt noch eine Rele­vanz?

Ja. Vor zwei Jah­ren hat die Giord­a­no-Bru­no-Stif­tung einen Exil­ira­ner unter­stützt, der in Stutt­gart erst­in­stanz­lich ver­ur­teilt wor­den war, weil er nach einer kri­ti­schen Bemer­kung über Moham­med von einem gläu­bi­gen Mus­lim auf offe­ner Stra­ße atta­ckiert wur­de. Die Schlä­ge des Täters führ­ten also zur Ver­ur­tei­lung des Opfers. Sol­che Fäl­le sind aller­dings sel­ten. Die größ­te Wir­kung ent­fal­tet der Para­graf im juris­ti­schen Vor­feld, etwa wenn reli­gi­ons­kri­ti­sche Bei­trä­ge in den sozia­len Medi­en gelöscht wer­den. So wur­de ein Bild von zwei küs­sen­den Män­nern vor dem Hin­ter­grund der Kaa­ba in Mek­ka als „Hass­bot­schaft“ inter­pre­tiert und von Face­book sowie Insta­gram gelöscht. Erfreu­li­cher­wei­se konn­ten mit Unter­stüt­zung des Insti­tuts für Welt­an­schau­ungs­recht, bei­de Fäl­le gewon­nen wer­den. Oft haben die Betrof­fe­nen aber nicht die Mit­tel, solch auf­wän­di­ge Ver­fah­ren zu füh­ren.

Die Giord­a­no-Bru­no-Stif­tung hat bereits 2015, kurz nach dem Atten­tat auf »Char­lie Heb­do«, eine Bun­des­tags­pe­ti­ti­on zur Abschaf­fung des § 166 StGB ein­ge­reicht, der zwar viel Unter­stüt­zung erhielt, aber vom Peti­ti­ons­aus­schuss schließ­lich abge­lehnt wur­de. War­um nun ein erneu­ter Anlauf?

Spä­tes­tens seit dem Ter­ror­an­griff der Hamas auf jüdi­sche Män­ner, Frau­en und Kin­der im Okto­ber 2023 soll­te der deut­schen Poli­tik bewusst sein, dass es an der Zeit ist, „kla­re Kan­te“ gegen­über reli­giö­sen Fana­ti­kern zu zei­gen und das Pro­fil des demo­kra­ti­schen Rechts­staa­tes zu schär­fen. Zudem haben sich gegen­über 2015 die poli­ti­schen Ver­hält­nis­se im Bun­des­tag ver­än­dert. Die Ampel­ko­ali­ti­on hät­te nun die his­to­ri­sche Chan­ce, den ursprüng­lich noch aus dem deut­schen Kai­ser­reich stam­men­den »Gottes­lästerungs­paragrafen« end­lich aus dem Straf­ge­setz­buch zu strei­chen.

Geg­ner einer Abschaf­fung wei­sen dar­auf hin, dass der Begriff »Got­tes­läs­te­rungs­pa­ra­graf« inkor­rekt sei, weil § 166 StGB nicht-reli­giö­se, welt­an­schau­li­che Bekennt­nis­se eben­so schüt­ze wie reli­giö­se Bekennt­nis­se. Ist das rich­tig?

Ja, vom Wort­laut her ist der Para­graf in sei­ner aktu­el­len Fas­sung welt­an­schau­lich neu­tral gehal­ten, aller­dings gab es nie­mals Ver­ur­tei­lun­gen auf­grund der Ver­let­zung nicht-reli­giö­ser Bekennt­nis­se. Das liegt gewiss nicht dar­an, dass nicht-reli­giö­se Men­schen nicht ver­un­glimpft wür­den. Man muss sich nur vor Augen füh­ren, wie harm­los das sati­ri­sche Spiel mit reli­giö­sen Inhal­ten (etwa in dem Mon­ty Python-Film »Das Leben des Bri­an«) anmu­tet gegen­über der Andro­hung ewi­ger Höl­len­qua­len in Bibel und Koran! Letz­te­res drückt eine sehr viel grö­ße­re Miss­ach­tung des Anders­den­ken­den aus. Doch reli­gi­ons­freie Men­schen grei­fen des­halb nicht zum Faust­recht. Sie haben gelernt, abwei­chen­de Mei­nun­gen zu tole­rie­ren, was eine grund­le­gen­de Vor­aus­set­zung für das Zusam­men­le­ben in einer plu­ra­len Gesell­schaft ist. Das soll­te man reli­giö­sen Men­schen auch abver­lan­gen.

Es gibt aber Ereig­nis­se im Zusam­men­hang mit der soge­nann­ten Got­tes­läs­te­rung, nach denen Situa­tio­nen eska­lier­ten. Den­ken wir an die Koran­ver­bren­nun­gen in Schwe­den, die zu schwe­ren diplo­ma­ti­schen Ver­wer­fun­gen mit der Tür­kei führ­ten. Sagen Sie auch vor die­sem Hin­ter­grund, eine Koran­ver­bren­nung müs­se mög­lich sein?

Vor dem Hin­ter­grund der deut­schen Geschich­te haben wir natür­lich erheb­li­che Pro­ble­me mit Bücher­ver­bren­nun­gen. Aller­dings haben wir auch Ver­ständ­nis dafür, dass Ex-Mus­li­me die Empö­rung über das Leid, das ihnen unter dem Dik­tat des isla­mi­schen Faschis­mus wider­fah­ren ist, auf die­se Wei­se zum Aus­druck brin­gen. Und was ist schon die Ver­bren­nung eines Buches in Rela­ti­on zur öffent­li­chen Hin­rich­tung von Zehn­tau­sen­den von Men­schen, die rein gar nichts ver­bro­chen haben?! Wir müs­sen uns in die­sem Zusam­men­hang doch fra­gen: Wie groß sol­len unse­re Zuge­ständ­nis­se an Regime sein, die in erschre­cken­der Per­ma­nenz gegen Men­schen­rech­te ver­sto­ßen? War Appease­ment-Poli­tik gegen­über Extre­mis­ten jemals erfolg­reich? Wir mei­nen, wir soll­ten an die­ser Stel­le nicht vor den mili­tan­ten Fein­den der Frei­heit ein­kni­cken, son­dern viel­mehr das Pro­fil der offe­nen Gesell­schaft stär­ken. Die Abschaf­fung des alten Gottes­lästerungs­paragrafen wäre dazu ein ers­ter Schritt.

Von der Strei­chung des Para­gra­fen wür­den kei­ner­lei Gefah­ren für den öffent­li­chen Frie­den aus­ge­hen?

Nein. Wir wür­den den öffent­li­chen Frie­den sogar auf ein sta­bi­le­res Fun­da­ment stel­len, indem wir ver­deut­li­chen, dass Into­le­ranz gegen­über Kri­tik in unse­rem Rechts­sys­tem nicht belohnt wird. Außer­dem soll­te man nicht ver­ges­sen, dass die Straf­tat­be­stän­de der Belei­di­gung (§ 185 StGB), der üblen Nach­re­de (§ 186 StGB), der Ver­leum­dung (§ 187 StGB) und der Volks­ver­het­zung (§ 130 StGB) wei­ter­hin bestehen blei­ben. Dass reli­giö­se Bekennt­nis­se, Per­so­nen oder Grup­pen einen über die­se Para­gra­fen hin­aus­ge­hen­den Schutz benö­ti­gen, ist weder begründ­bar noch zeit­ge­mäß. Auch die Reli­gio­nen ste­hen nicht über dem Gesetz.

Wer steckt hin­ter der Kam­pa­gne »Free Char­lie!«?

Die Kam­pa­gne wird von der (gemein­nüt­zi­gen) Giord­a­no-Bru­no-Stif­tung getra­gen und von zahl­rei­chen Orga­ni­sa­tio­nen und Ein­zel­per­so­nen (dar­un­ter vie­len Künst­le­rin­nen und Künst­lern) unter­stützt. Eine Lis­te der Unter­stüt­ze­rin­nen und Unter­stüt­zer fin­den Sie hier

Was kann ich tun, um die Kam­pa­gne zu unter­stüt­zen?

Unter­zeich­nen Sie unse­re Bun­des­tags­pe­ti­ti­on und wei­sen Sie in den sozia­len Medi­en unter dem Hash­tag #free­char­lie auf die Kam­pa­gne hin. Spre­chen Sie mit Ihren Bekann­ten und auch ger­ne mit ihren ört­li­chen Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten über das The­ma! Wenn Sie die Kam­pa­gne mit einer Spen­de unter­stüt­zen wol­len, nut­zen Sie bit­te die­sen Link. (Sie erhal­ten auto­ma­tisch eine Zuwen­dungs­be­schei­ni­gung von betterplace.org und kön­nen die­se bei der nächs­ten Steu­er­erklä­rung gel­tend machen.)